Danke an Wiebke, unsere Gastkolumnistin.
Manchmal bin ich eine Zumutung für meine Nachbarn. Wenn mir nachts um eins dieses eine spezielle Lied nicht aus dem Kopf geht, das ein paar Stunden zuvor in einem (Online-) Pub Quiz eine entscheidende Rolle gespielt hat – und ich es zwingend nochmal kurz (leise) ansingen muss, mit Gitarrenbegleitung, um Nachtruhe zu finden. Sorry, Nachbarn! Kommt auch nur ungefähr einmal in zwei Jahren vor, dass mich des Nachts so ein musikalischer Drang packt.
Aber hier im Haus macht sowieso jeder, was er will: ob Kindergeschrei, Möbel rücken und einen Gegenstand immer wieder auf Laminat fallen lassen oder auch filmreife Sexgeräusche (ich übertreibe nicht).
Dann gibt es noch Nachbarinnen, die echt gut singen können bzw. Akkordeon, Geige und Flöte spielen – oder aber leider denselben Ed Sheeran-Song zwei Stunden lang in Dauerschleife hören (auch hier übertreibe ich nicht).
Es ist unglaublich hellhörig. Von der vielbeschriebenen Anonymität in der Großstadt ist bei uns wirklich nichts zu spüren. Im Gegenteil, Herr R. im Erdgeschoss lauert oftmals förmlich auf dem Balkon auf Unterhaltungen – besonders natürlich in den wärmeren Monaten. Und Frau O. spricht einen auch an, wenn man gerade offensichtlich telefoniert. Ihr Lieblings-Gesprächsthema ist der Pflegenotstand. Jedes wie auch immer geartete Gespräch bzw. jeden Smalltalk übers Wetter kann sie auf dieses Thema hin drehen, so etwa:
Ich: „Was für ein schöner Sonntag heute, endlich scheint mal wieder die Sonne.“ Sie: „Ja – haben Sie frei?“ Ich: „Ja“.
Andere Menschen würden sich jetzt weiter über das Wetter unterhalten, über Freizeitaktivitäten oder meinetwegen auch über die Arbeit. Gut, indirekt macht sie das auch, indem sie ansetzt: „Da haben Sie Glück. Millionen Pflegekräfte haben heute nicht frei.“ Und los geht’s mit einem Monolog über die tatsächlich schlimmen Zustände in dieser Branche. Sie hat ja Recht. Aber so verlaufen Gespräche mit ihr: Jedes. Einzelne. Mal. Seit Jahren.
Frau O. sucht immer Kontakt, und sie ist auch außerordentlich neugierig. Ihre indiskretesten Fragen an mich waren bisher:
– „Sind Sie immer noch befristet angestellt?“
– „Fahren Sie jetzt zu Ihrem Freund?“
– Und, nachdem sie mich von oben bis unten taxiert hat: „Haben Sie zugenommen?“
Ungefragt teilt sie mir daraufhin ihre Diät-Tipps mit (mehr Reis essen, und Grüntee soll helfen).
Auf dem Dorf verlaufen die Gespräche sicher ähnlich. Wie gesagt, Anonymität sieht anders aus.
Und so bekomme ich auch mit, wenn die Nachbarin unter mir bis nachts um 2 irgendwelche Actionfilme schaut – ich kann die Dialoge zwar nicht verstehen, aber die eindrucksvollen Geräusche und wummernden Bässe sprechen für sich. Andererseits ist es nun mal so: Wer lebt, macht Lärm – und jeder ist ja mal laut, auf welche Art auch immer. Daher finde ich auch: Jeder hat sein Recht auf Lärm. Natürlich in Maßen, und reihum. Heute guckst du deine lauten Actionfilme, morgen spiele ich Gitarre.
Doof nur, wenn einer der Nachbarn gerade wieder aufdreht, man selbst aber am nächsten Tag Frühschicht hat und um halb 4 aufstehen muss. Aber zum Glück gibt’s ja Ohropax. Macht doch alle, was ihr wollt.