Mit jugendlichen Kindern im Hause wird das Thema Berufswahl immer öfter besprochen. Es gibt ja so viele Möglichkeiten, dass die jungen Dinger gar nicht wissen, was sie zuerst machen sollen. Work-and-travel in Australien, Soziales Jahr bei der KiTa um die Ecke oder vielleicht sogar studieren?
Als ich 1984 die Bäckängskolan in Borås mit weiße Mütze und Abitur verließ, war es ein bißchen anders. Bei den Jungs stand „lumpen“ auf dem Plan, das heißt, die meisten Jungs mussten zu der Zeit noch zum Bund – oder sie zogen den Zivildienst vor, aber auf jeden Fall waren sie erst mal mit einer Aufgabe versorgt. Die Mädchen hatten auch eine Art von „lumpen“, das hieß „Au-pair“. Egal, ob in England, USA, Frankreich oder sogar Deutschland – Hauptsache ein Jahr etwas ganz Anderes machen. Kinder hüten und eine Sprache lernen klingt doch harmlos und attraktiv zugleich? Manchmal war es so, manchmal nicht. Manche Au-pairs kamen gar nicht mehr nach Hause zurück, weil sie im Au-pair-Land sich in jemanden verliebten und blieben.
Ich hatte den Plan, mir im Au-pair-Jahr zu überlegen, was ich danach machen wollte. Das klappte nicht so gut, weil ich in meinem Au-pair-Jahr viel zu sehr damit beschäftigt war, die Dorfjugend meines norddeutschen Dörfchens kennen zu lernen, die norddeutschen Sitten, wie Schützenfest und Feiern mit Spiegeleiern abzuschließen, auszuprobieren. Außerdem habe ich tatsächlich zwei Kinder beaufsichtigt, jeden Tag das Mittagessen gekocht und Staub gesaugt. Dann habe ich noch mit den Nachbarsfrauen Kaffee getrunken, Cognac kennengelernt und das Tratschen geübt.
Irgendwann, fristgerecht, zwischen dem ganzen Gefeiere, habe ich eine Bewerbung an die schwedische Uni abgeschickt. Wenn ich mich richtig erinnere, für das Fach „Psychologie“- jedenfalls etwas, wofür ein NC erforderlich war, den ich definitiv nicht hatte – also konnte ich sicher sein, zumindest noch ein Jahr etwas Anderes machen zu dürfen. Übrigens ist „dürfen“ nicht das richtige Wort. Meine Eltern hingen mir nicht im Nacken. Da ich die erste in unserer erweiterten Familie war, die überhaupt Abitur machte, glaube ich, fanden sie, dass ich mehr Schulbildung hatte, als eigentlich vonnöten war. Also konnte ich ruhig anfangen, mich selbst zu versorgen. Und die Verantwortung für mein Leben war, quasi seit ich mit 17 ausgezogen war, sowieso in meiner eigenen Hand.
Da es die Alternative Ausbildung in Schweden nicht gibt, entschied ich mich nach einem Jahr des Jobbens im Krankenhaus und im Cateringrestaurant und der Reisen durch Europa, dass es Zeit war, einen Beruf zu finden. Der Beruf, der mich ernsthaft interessierte, war weder in den Sphären des Krankenhauses noch im Restaurantbereich zu finden, also bewarb ich mich für einen Studiengang in Göteborg, wo ich ohnehin schon wohnte. Es wurde Sozialpädagogik, und dafür bin ich heute sehr dankbar. Ich habe viele Menschen kennengelernt, ich habe neue Fähigkeiten erworben und ich bekam einen Beruf in dem man wachsen, sich immer weiter entwickeln und ständig neue Facetten des Menschseins entdecken konnte. Außerdem bekam man nach sieben Semestern vom Staat vollfinanzierten Studiums mit Sicherheit eine Arbeitstelle, so dass man auch das Darlehen zurückzahlen konnte. Nicht uninteressant für jemanden, der von zu Hause her früh gelernt hatte, dass jeder für seinen Lebensunterhalt selbst verantwortlich ist.
Wenn ich auf die Idee gekommen wäre, etwas zu studieren, was meinen Interessen nahe lag, hätte ich vermutlich eher Literaturwissenschaft studieren müssen, oder vielleicht Journalistik oder möglicherweise eine Sprache. Oder Schauspiel? Meine besten Noten beim Abi waren in Svenska und Dramatik. Als ich eine ehemalige Mitschülerin aus dem Dramakurs irgendwann Anfang der 90iger in der Stadt traf, und wir uns darüber unterhielten, was wir so machten, erzählte sie von ihrer Gesangskarriere, Aufnahmeprüfungen und Auditions. Plötzlich sagte sie: „Oh, wie schön dass irgend jemand von uns Spinnern einen bürgerlichen Beruf gewählt hat!“ und meinte damit mich. Zuerst habe ich nicht verstanden, von wem die Rede war, dann fühlte ich mich ausgestoßen aus der Gemeinschaft. Aber eine Millisekunde später verspürte ich Dankbarkeit und war glücklich über meinen Beruf. Und kreativ, das ist mein Job heute auch!