Namen sind doch nur Schall und Rauch

Mir fiel es eigentlich immer leicht, Namen zu lernen. Das war sehr hilfreich, als ich in der Jugendberatung als Socionom arbeitete, und manchmal in der Schule zu tun hatte. Ich konnte mir sofort die Namen der Schüler merken und sie richtig ansprechen. Dass ich die Namen vergaß, sobald ich die Tür hinter mir zumachte, wussten sie ja nicht. Mein Kollege war neidisch, er konnte sich gerade noch die Namen seiner Kollegen merken und musste sich mit Formulierungen, „Du da, in der grünen Jacke“, behelfen.

Als ich nach Deutschland kam, musste ich erstaunt feststellen, dass Namen, die ich eindeutig als Männernamen kennengelernt hatte, plötzlich von Frauen getragen wurden. Tante Inge war kein Transvestit und Janne war kein Kosename eines Mannes, der in den 50-ern geboren wurde. Umgekehrt war Gerd in Deutschland eindeutig ein Mann, aber in Schweden eine Frau. Gert wiederum ist ist in Schweden ganz klar ein Mann.

Als ob das nicht verwirrend genug wäre, gab es noch die „Generationssprünge“. Lennart, zum Beispiel, wäre in Schweden vermutlich ein Klassenkamerad von Janne, aber nicht in der Schülerschaft von heute zu finden. Sven ist in Deutschland ungefähr in meinem Alter, aber in Schweden schon längst im Altersheim. Ludwig klingt in Deutschland sehr verstaubt, ist in Schweden aber supercool.

Und dann die Aussprache! Schwedische Namen wie Kerstin, Katrin, Magnus und Lars hießen hier ganz anders. Wenn ich sie Schwedisch ausspreche, Scherschtin, Katriiiin, Mangnus und Larsch, fühlen sie sich gar nicht angesprochen und ich wusste anfangs nicht, was ich falsch gemacht hatte.

Meine eigenen Kinder bekamen Namen, die in unseren beiden Familiensprachen gleich klingen sollten. Mit Anna kann man nichts falsch machen, aber ihr Zweitname, Cajsa, hat in der Schule zu Verwirrung geführt. „Wieso heißt du Kaiser, wenn dein Bruder Middendorf heißt?“ Als ich das mitbekam, war ich sehr froh, dass mein Mann sich mit der Reihenfolge der Namen durchgesetzt hatte. Unser Sohn hatte es mit dem Namen Elias leichter. Aber besonders originell waren beide Namen nicht: in Schweden waren sie in ihrem Geburtsjahr beide auf der Liste der beliebtesten Vornamen: Anna auf Platz 22 und Elias auf 25. In Deutschland belegte Anna sogar den ersten Platz, aber Elias war nicht mal unter den ersten 30.

Mein eigener Vorname, Carina, lag in der 60ern auf einem fünften Platz in Schweden und ich teilte mir den Namen mit zwei anderen Mädchen meiner Klasse. Alle haben wir uns angewöhnt, erst zu antworten, wenn der volle Name genannt wurde. Als ich 1993 nach Deutschland kam, war Carina in meiner Generation gar nicht vertreten, aber im sozialen Brennpunkt, in dem ich damals arbeitete, bei Kleinkindern durchaus vorhanden. Ich musste mich daran gewöhnen, dass, wenn jemand rief „Carina, du stinkst! Hast du die Hosen voll?“, ich meistens nicht gemeint war.

Mein Sohn schrieb mir einmal eine Geburtstagskarte: „Grattis Katarina!“, und als er damit aufgezogen wurde, sagte er, dass ihm Namen nicht so wichtig wären. Aber ‚Katarina‘ wäre in Schweden in meinem Geburtsjahr deutlich origineller gewesen, als Carina, und dann hätte ich vielleicht auch einen Kosenamen bekommen, sowas wie ‚Tina‘ oder ‚Katta‘. Mit Carina ließ sich nun mal gar nichts dergleichen machen, ich musste mich damit zufriedengeben, mit meinem vollen Namen gerufen zu werden: Carina Lundin!

Als ich das erste Mal nach Deutschland kam und mit „Frau Lundin“ angesprochen wurde, drehte ich mich erstaunt nach meiner Mutter um, und nach der Heirat dauerte es etwas, bis ich mich mit „Frau Middendorf“ angefreundet hatte. Mittlerweile antworte ich auf Middelstädt, Middenhoff und auch Katarina, wenn es sein muss. Irgendwie hat mein Sohn doch recht: Namen sind nicht so wichtig, zumindest nicht, wenn man weiß, dass man gemeint ist.


Vokabelhilfe

en socionom, -er              in etwa Sozialpädagoge

grattis                              Glückwunsch