Matthias und Christina von dem Bussche hatten Unterricht bei Svenska Intensiv Dezember 2019 – Juli 2020
Ein neues Dach oder ein Sabbatjahr in Schweden? Das war etwas vereinfacht die Frage, die Christina und Matthias von dem Bussche sich im Jahr 2018 stellten. Und da sich die Ergotherapeutin und der Ingenieur zurzeit noch auf der Insel Orust an der schwedische Westküste befinden, habt Ihr die Antwort schon.
Matthias und Christina, beide 48, haben ihre drei Kinder früh bekommen und die Älteste, Johanne, war bereits ausgezogen und stand auf eigenen Beinen, als die oben genannte Frage im Hause von dem Bussche aufkam. Sohn Paul war kurz vor dem Abitur, also auch auf dem Sprung hinaus in die Welt, und nur die Jüngste war noch zuhause. „Hermine sollte nach den Sommerferien 2020 in die neunte Klasse kommen“, erzählt Matthias, „und das war eigentlich der ideale Zeitpunkt für ein Auslandsjahr!“ Hermine besucht zu Hause in Buchholz eine Waldorfschule, und als die Eltern anfingen, entsprechende Schulen in Schweden zu suchen, haben sie festgestellt, dass das neunte Schuljahr das letzte Grundschuljahr in Schweden ist. Wenn es für die schwedischen Kinder auf die weiterführende Schule geht, bedeutet dies einen Schulwechsel und hier sind die Waldorf-Angebote recht rar gesät. Also, nix wie los und Schwedisch lernen!
„Zuerst haben wir angefangen, interessante Arbeitsmöglichkeiten für uns Erwachsene, Wohnung und Schule zu suchen, und wollten von allem nur das Tollste, um schnell Sprache, Land und Leute kennen zu lernen“, erzählt Matthias und lacht rückblickend über diese hoch gesteckten Ziele. „Naja, und dann haben wir die Sache anders angepackt und haben als erstes eine Schule für Hermine gesucht und danach eine Wohnung. Der Rest wird dann schon klappen, haben wir gedacht.“
Christina erzählt, dass sie schon seit 20 Jahren begeisterte Schwedenurlauber waren und die Familie ein Ferienhaus bei Kalmar besitzt. „Aber es war sofort klar, ein Jahr im Ferienhaus leben, das wollten wir nicht. Es sollte schon eine andere Region sein“, lacht sie. „Wir wollten das Land, das wir nur im Sommer als Urlaubsland kennen und lieben gelernt haben, auch mal so richtig im Alltag ausprobieren.“
Die Waldorfschule in Slussen auf Orust hat sich hier als Glücksgriff für die Familie im Sabbatjahr erwiesen. „Es war erstens die Schule, in die Hermine am liebsten gehen wollte, und es gab dort auch eine sehr engagierte Lehrerin, die uns sofort weitergeholfen hat.“ Durch den Kontakt zu dieser Lehrerin hat Familie von dem Bussche dann auch das Haus gefunden, das sie für das Sabbatjahr mieten konnte. In der Nachbarschaft haben sie inzwischen gute Kontakte geknüpft, aus denen Freundschaften entstanden sind. Der „Rest“ hat also tatsächlich geklappt.
„Wegen Corona können wir allerdings kein Praktikum machen oder anderweitig arbeiten“, erklärt Matthias. „Bis auf den online Sprachunterricht am Vormittag, haben wir keine festen Termine und können deshalb ein bisschen in den Tag hineinleben. Wir haben den Nachbarn gesagt, wenn ihr Hilfe braucht, dann meldet euch. Wir helfen gern!“ Einige Nachbarn und Freunde haben tatsächlich schon das Hilfsangebot in Anspruch genommen, vor allem in Haus und Garten. Die Nachbarn waren aber etwas irritiert, als Matthias und Christina klar machten, dass sie als Gegenleistung nur die Gelegenheit zum Schwedisch sprechen wollten!“, bekräftigt Matthias „Vor allem, weil wir durch das Corona bedingte Ausbleiben der regelmäßigen Arbeit die praktische Anwendung der Sprache viel zu wenig üben konnten.“
Dass die Corona-Pandemie ausgerechnet ins Sabbatjahr der Familie von dem Bussche fällt, ist natürlich nicht optimal – keine Praktikumsgelegenheit, kaum Besuche aus Deutschland, keine Schulfeste (und auch keine Elternabende), kein Lucia und kein påskeld zu Ostern. Sie hoffen auf Mittsommer.
Aber immerhin: Christina hat Zeit, endlich mal so viel zu nähen, wie sie immer schon wollte, so viel Brot zu backen, wie sie essen können und dazu noch allerlei Neues in Sachen Kochen auszuprobieren. „Ich habe endlich Zeit für das, was im Alltag in Deutschland zu kurz kommt“, berichtet sie. Auch Matthias nutzt die freie Zeit und widmet sich der Fotografie, liest viel und hat den Computer aufgeräumt – so, wie man sich ein Sabbatjahr vorstellt eben!
„Anfangs haben wir außerdem viel Zeit gebraucht für die Kommunikation mit Skatteverket, um Personnummer und ID-kort zu beantragen, und ich weiß gar nicht, wie oft wir bei der Bank waren, um eine Bank-ID und ein Swish-taugliches Konto zu bekommen“, erzählt Matthias.
Christina ist mittlerweile als Vertretung in der Förskola (entspricht dem deutschen Kindergarten) in Henån angestellt und springt ein, wenn Bedarf ist. „Zurzeit bin ich für vier Wochen fest eingeplant, und es sieht so aus, als würde es danach auch weitergehen“, freut sie sich. „Etwas ungewohnt und lustig ist es für mich, dass ich von den Kindern als fröken angesprochen werde. Das ist mir in Deutschland schon sehr lange nicht mehr passiert“, schmunzelt sie. Eine Herausforderung für Christina ist es, bei Auseinandersetzungen zwischen den Kindern zu vermitteln, denn, so erklärt sie „Streit schlichten haben wir im Schwedischunterricht nie geübt!“
In Schweden hat die Öffnung der Schulen und ein hohes Maß an Normalität für Schülerinnen und Schüler trotz Corona oberste Priorität, berichten Christina und Matthias. Das begrüßen sie. Außerdem lobt Christina die Möglichkeiten, über die Schulen in Schweden verfügen: „Es ist schon beeindruckend, was alles inklusive ist. Angefangen beim Mittagsessen, über das Schulmaterial bis zur Modersmålsundervisning, auf die Hermine Anspruch hat. In Deutschland gibt es zwar Förderung für Bedürftige, aber die muss immer beantragt werden. Hier bekommen alle Kinder das gleiche angeboten.“
Wenn das Sabbatjahr Ende Juli vorbei ist und die Familie wieder zurück nach Buchholz zieht, dann wünscht sich Matthias, dass er die Entspannung mitnehmen kann, die er in Schweden erlebt hat und Christina hofft, dass sie zu Hause besser darin wird, auf Leute zuzugehen. „Ich habe ja selbst als Ausländerin in Schweden gemerkt, wie gut es tut, wenn jemand sich Zeit nimmt und dich fragt, ob er oder sie helfen kann.“
Was Hermine von ihrem Schwedenjahr mitgenommen hat, wissen wir nicht, weil sie während des Interviews in der Schule war. Aber eins können wir mit Sicherheit sagen: sie hat sehr gut Schwedisch gelernt und korrigiert ihre Eltern inzwischen sogar, wenn die sich in der Sprache vertun. Und Eltern-korrigieren, das gehört zu der Stellenbeschreibung „Jugendlich“ – sowohl in Schweden als auch in Deutschland.
Matthias und Christinas Tipps für Auswanderer:
- Lerne nicht nur zu sprechen, denn schreiben ist auch wichtig! Der Kontakt mit Behörden findet fast ausschließlich per Mail statt und man will ja auch, dass die schwedischen SMS richtig verstanden werden.
- Hab Geduld! Netzwerke zu bauen braucht Zeit, und es ist nicht ratsam, zu viel zu drängeln und nachzufragen. Das mögen die Schweden überhaupt nicht!
Vokabelhilfe:
Lucia Lichterfest am 13. Dezember
påskeld Ein gemeinsames Osterfeuer für ein Dorf, einen Verein oder einen anderen Zusammenschluß.
skatteverket In etwa Finanzamt
Personnummer schwedische Personalnummer. „Menschwerdung“ in Schweden. Mit der Zuweisung dieser Nummer wird man Teil des Ordnungs- und Organisationssystems in Schweden.
ID-kort Ausweis
bank-ID Elektronischer Ausweis
swish Bezahldienst, ähnlich wie paypal
en frök/en, -ar Früher eine unverheiratete Frau, also Fräulein, aber auch die Anrede mit der die Schüler und Schülerinnen die Pädagoginnen in der Schule ansprechen.
modersmålsundervisning Kinder mit anderer Muttersprache als Schwedisch haben das Recht, die Sprache als Unterrichtsfach in der Schule zu besuchen. Hier kannst du mehr darüber lesen: Rätt till modersmålsundervisning – Skolverket
Hier könnt Ihr Hermines Waldorfschule besuchen: Waldorfpedagogik på Orust (orustwaldorf.se)