Als unsere Tochter zu Weihnachten ein Klavier bekam, mussten wir uns anschließend um eine private Klavierlehrerin kümmern. Es gab offensichtlich keinen staatlich geregelten Musikunterricht für alle, und es war fast ein ebenso großer Schock für mich, als ich in der Grundschule anrief, um zwei Kinder für den Hort anzumelden. Die Schulsekretärin sagte verdutzt: „Welchen Hort?“ und als ich erklärte, dass ich die Kinderbetreuung nach der Schule meinte, da ich dachte, ich hätte wieder mal das falsche deutsche Wort benutzt, sagte sie „Ach so. Sowas haben wir nicht. Das ist in unserem Stadtteil nicht notwendig.“ In unserem Stadtteil gab es offensichtlich einen größeren Bedarf an privaten Klavierlehrerinnen, denn die fanden wir recht schnell.
Ich war in Schweden mit der „kommunala musikskolan“ aufgewachsen, zu meiner Zeit musste man sich einfach anmelden und dann trabte man während der Schulzeit zum Unterricht im gewählten Instrument. Ich gehe davon aus, dass die Eltern dafür bezahlten, aber kann mich nicht erinnern, dass zu Hause darüber gesprochen wurde, also war es nicht teuer.
Im zweiten und dritten Schuljahr spielten wir alle Blockflöte, was sich gut eignen sollte, um Noten zu lernen und außerdem ist so eine kleine Flöte recht leicht zu bedienen. Ab dem vierten Schuljahr durfte man ein Instrument wählen. Ich hätte gern Klavier gespielt, aber dafür musste man ein Klavier zu Hause haben und das hatten wir nicht. Ich wählte Klarinette. Ich vermute, dass ich Klarinette wählte, weil meine drei Jahre ältere Nachbarin Anneli Klarinette spielte. Zum einen war sie für mich ein Vorbild, da ich keine älteren Geschwister hatte, und zum anderen hatte sie es mit der Klarinette ins Blasorchester der Schule geschafft. Das fand ich insofern interessant, dass sie einmal sogar nach Dänemark fahren durfte, um dort in das Horn zu blasen. Oder eher in die Klarinette.
Meine Karriere als Klarinettistin war sehr kurz, da ich weder über das nötige Talent noch die Ausdauer beim Üben verfügte. Nach einem Jahr gab ich die Leih-Klarinette zurück, ohne, dass ich es in die Nähe des Blasorchesters oder nach Dänemark geschafft hatte.
Irgendwann in den 90-igern bekam die „kommunala musikskolan“ ein Update und wurde „kulturskolan“, ab da gehörten auch andere Kulturbereiche, wie Tanz und Theater, dazu. Es soll günstig sein, sich anzumelden und damit gewährleistet werden, dass alle Kinder die Möglichkeit haben, dabei zu sein. Kultur auszuüben ist in Schweden nämlich fast so etwas wie ein Menschenrecht.
Vielleicht ist der leichte Zugang zu Unterricht und die selbstverständliche Einstellung, dass alle mitmachen dürfen, ein Grund, warum die Schweden so häufig international in der Musikszene mitmischen? Vielleicht haben schwedische Musiker weniger Berührungsängste, da sie von Kindesbeinen an einfach ihre Musik schon machen? Keine Ahnung, aber die Erfolge sprechen doch für sich, oder? Ihr könnt zum Beispiel Robyn, Zara Larsson, Mando Diao und First Aid Kit bei Spotify eingeben, wenn ihr hören wollt, wie schwedische Musik heute klingt. Fakt ist, dass die Schweden nach den USA die größten Musikexporteure der Welt* sind – was mit einer Bevölkerung von gerade zehn Millionen doch eine beachtliche Leistung ist.
Meine Nichte kommt Gottseidank musikalisch und ausdauermäßig gar nicht nach mir. Sie spielt nun schon seit Jahren Posaune und ist schon lange im Blasorchester der Schule. Und dieses Jahr fährt sie sogar nach Luxemburg! Wenn sie nicht meine Nichte wäre, könnte ich vielleicht neidisch sein, so wünsche ich ihr einfach „ha kul!“ beim Musik Exportieren.
Vokabelhilfe:
en kommunal musikskola eine Musikschule in staatlicher Regie
en kulturskola eine Kulturschule in staatlicher Regie
ha kul Viel Spaß
* Quelle: Därför är Sverige i världsklass på att producera hittar – DN.SE