Als ich Kind war, sagte meine Mutter manchmal, dass ich nicht dabei war, als der liebe Gott die Geduld verteilte. Sie sagte auch, fort men fel, wenn ich eine Aufgabe mit mehr Schnelligkeit als Sorgfalt ausführte und vermutlich hätte sie mich darauf hingewiesen, dass für das schnelle Abgeben von Arbeiten in der Schule keine Extrapunkte vergeben werden, falls wir über solche Dinge zu Hause gesprochen hätten. In der 70ern gingen nur die Kinder in die Schule, Eltern waren höchstens einmal im Jahr dort, zum Elternabend, und wenn man sich unauffällig verhielt, hatten Schule und Elternhaus nichts weiter miteinander zu tun. Also konnte meine Mutter gar nicht wissen, wie schnell oder langsam ich meine schulischen Aufgaben löste.
Es mag stimmen, dass Geduld nicht zu meinen vornehmsten Eigenschaften gehört, aber ich finde es nicht gerecht zu sagen, dass ich gar keine Geduld habe. Es wäre richtiger zu sagen, dass ich mich schnell langweile und das ist meiner Meinung nach etwas komplett anderes.
Manche Sachen kann ich wirklich gut, zum Beispiel kochen und nähen. Und mit kochen meine ich nicht, eine Miracoli-Sauce aufwärmen und Spagetti kochen, damit alle schnell satt werden, sondern ich denke eher an eine Lasagne mit Belugalinsen, dazu vielleicht Blattsalat mit einem Dressing aus Himbeersenf und Creme Brûlée als Nachtisch. Das zu kochen fordert sowohl Zeit als auch Geduld und macht mir Spaß.
Als Jugendliche habe ich von meiner farmor, die Schneiderin war, nähen gelernt. Wir haben unendlich viele Stunden zusammen in ihrem Nähzimmer verbracht und ich bin heute noch dankbar für das, was sie mir alles beigebracht hat. Von einfachen Röcken bis gefütterten Wintermänteln habe ich alles genäht, aber nicht immer klappte alles von Anfang an gut. Manchmal musste ich Nähte auftrennen und neu nähen. Und das sogar mehrmals am gleichen Kleidungsstück. Das Ganze hat mir trotzdem gefallen.
Sowohl kochen als auch nähen fordern also Geduld und damit habe ich gar kein Problem, obwohl ich nach Ansicht meiner Mutter nicht mit Geduld gesegnet sein soll. Ich kann ein Rezept oder eine Idee mehrmals ausprobieren, bis es mir gelingt und so schmeckt wie ich es haben möchte. Ich kann Stunden um Stunden in meinem Nähzimmer mit dem Anbringen eines Reißverschlusses oder eines Kragens verbringen, bis es genau so aussieht wie ich es mir vorstelle.
Aber gib mir eine Aufgabe, die mich nicht interessiert oder noch schlimmer, die mich langweilt – dann sieht es ganz anders aus. Spülmaschine einräumen, Unterlagen sortieren oder zum dreiundvierzigsten Mal den Sprachkalender korrekturlesen, dann schreit alles in mir und ich muss mich zwingen, die Aufgabe zu erledigen. Oder ich löse es anders: Ich habe einen Mann geheiratet, der die Spülmaschine liebt und ohne zu murren, Licht und Herdplatten ausschaltet, Schränke schließt, wenn ich ein Zimmer verlassen habe. Ich habe mir Kolleginnen gesucht, welche mein kreatives Chaos in lesbare Unterlagen verwandeln und es meistens nicht persönlich nehmen, wenn ich schneller im Text weiter will, als sie es wünschen.
Ob ich als Lehrerin geduldig bin, müssen eigentlich meine Kursteilnehmer sagen. Aber ich glaube schon, da ich Spaß am Unterrichten habe. Und das ist der Knackpunkt: Wenn ich Spaß habe, dann ist meine Geduld unendlich, wenn ich mich langweile, dann erreicht mein Geduldslevel nicht mal ein messbares Niveau.
Aber geht es nicht den meisten Menschen so?
Vokabelhilfe
att ha tålamod Geduld haben
fort men fel schnell aber verkehrt
farmor Oma, väterlicherseits