Weihnachtsstimmung

Weihnachtsstimmung

Als ich Kind war, gingen wir immer am ersten Advent zu skyltsöndag. Wir spazierten von Schaufenster zu Schaufenster im Dorf und schauten uns die weihnachtlich dekorierten Auslagen an. Die Kinderaugen wurden immer größer beim Ansehen all dieser Herrlichkeiten, die man sich wünschen und vielleicht sogar, mit etwas Glück, Heiligabend in den Händen halten konnte. Die Kinderfüße wurden währenddessen immer kälter, weil es an den Schaufenstersonntagen meiner Kindheit immer sehr kalt war, und es lag auch mindestens ein Dezimeter fluffigen Neuschnees, was unser Dorf wie ein Wintermärchen aussehen ließ.

Wenn alle Schaufenster genügend gewürdigt worden waren, sammelten sich alle Familien mit Kindern im tanzfähigen Alter auf dem Marktplatz, damit die Kleinen um die geschmückte Riesentanne ein paar fröhliche Runden drehen konnten. Der Musiklehrer des Dorfes spielte ein paar schmissige Weihnachtstanzlieder auf der Ziehharmonika und versuchte, alle Herumstehenden zum Mitmachen zu motivieren. Während die Kinder sich geduldig durch das Weihnachtsliederprogramm ziehen ließen, wohlwissend, dass es anschließend eine Tüte Naschis für jeden, der mitgetanzt hatte, geben würde, kauften die Erwachsenen fleißig Lose der Tombolas. Es waren Tombolas sowohl vom Roten Kreuz als auch vom lokalen Lions Club. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was es zu gewinnen gab, was vermutlich damit zu tun hat, dass man in meiner Familie nie etwas gewann. Wahrscheinlich waren die Preise Weihnachtsschinken, exotische Rentiersalami oder eine Kugel Edamer, in rotes Papier gewickelt. Woran ich mich sehr gut erinnern kann, ist die Holzbox mit Stroh, in der ein echtes, lebendiges Schwein herumwühlte und grunzte. Als die Kinder zu Ende getanzt hatten, kletterten sie alle auf der Box herum, um das Schwein beobachten zu können. Das Schwein symbolisierte, oder war sogar, der Hauptakt für das Weihnachtsessen, was in allen Haushalten am 24., 25. und auch am 26. serviert werden würde. Ein ganzes Schwein zu vertilgen, braucht ein paar Tage, darf nicht überstürzt werden. Zu dieser Zeit kannte man bei uns im Dorf Vegetarier nur vom Hörensagen, und man konnte sich vermutlich gar nicht vorstellen, dass es Menschen geben könnte, die aus was für Gründen auch immer, kein Schweinefleisch essen würden. Das besagte Schwein war aus seinem warmen, gemütlichen Schweinestall geholt worden, um auf dem Marktplatz geschätzt und gewogen zu werden. Alle konnten das geschätzte Schweinegewicht auf einen vom Lions Club vorbereiteten Zettel eintragen und gegen eine kleine Gebühr in eine dafür vorgesehene Kiste tun. Am Ende wurde das Tier, wild quiekend und vermutlich in Todesangst, auf eine Waage gewuchtet. Derjenige, der am besten geschätzt hatte, gewann, und durfte das Schwein mit nach Hause nehmen. Das Schwein bekam ein Seil um den Hals geschlungen, und der neue Besitzer konnte sein Weihnachtsessen durch sachte, fallende Schneeflocken, vorbei an allen weihnachtlich geschmückten Fenstern des Dorfes, nach Hause führen. Jedes Haus hatte mindestens einen elektrischen Weihnachtsstern aus roter Pappe und einen siebenarmigen elektrischen Adventskerzenleuchter eingeschaltet, um dem Wanderer den Weg zu leuchten.

Heute ist alles ganz anders. Ich bin kein Kind mehr, ich muss nicht mehr mit vereisten Füßen um den Baum tanzen und keiner schenkt mir als Belohnung dafür Naschis. Die weihnachtlichen Naschis kann ich mir schon ab Anfang September selbst kaufen. Die Schaufenster sind schon weit vor dem ersten Advent in ihr Weihnachtskostüm eingehüllt. In Hamburg schneit es nie am Weihnachten und ich habe auch wirklich nie jemanden mit einem Schwein am Seil durch die Strassen schlendern sehen.
/carina