Schwedischer Backwahn
Es wird Zeit für ein Geständnis: ich kann keine Plätzchen backen. Etwas was in Deutschland höchstens in der Adventszeit auffallen würde, ist in Schweden ein gesellschaftliches Manko von großen Ausmaß.
Warst du schon mal bei einer echten, schwedischen Kaffeetafel, einer kafferep? Dann hast du sju sorters kakor, vetebröd, en mjuk kaka och en gräddtårta zumindest mal gesehen, ob du alles gegessen hast, wage ich zu bezweifeln.
Meine farmor schenkte mir zum 28. Geburtstag den Backklassiker Sju sorters kakor, vermutlich in der Hoffnung, dass ich das Backen lernen würde. Da wohnte ich schon in Deutschland, aber meine schwedischen Backwurzeln sollten mir auch im Land des Frankfurterkranzes und der Schwarzwälderkirschtorte erhalten bleiben. Das Buch wurde 1945 das erste Mal herausgegeben und seitdem kontinuierlich erweitert und verbessert. Mitterweile ist die 100. Auflage in der schwedischen Onlinebuchhandlung Adlibris käufllich zu erwerben. Sie ist von der Konditorin und Kinderbuchautorin Mia Öhrn behutsam modernisiert worden. Ja, es steht dort wirklich „behutsam“: med varsam hand – als würden wir von einem Gemälde von Leonardi da Vinci sprechen. Aber Kekse, Kuchen und Hefeteilchen gehören auch zur Kultur, der schwedischen Esskultur. Allerdings verstehe ich nicht so ganz, was Mias Kinderbucherfahrung mit Kuchen zu tun hat, aber vielleicht wird es in ihrer Fassung „kinderleicht“ – småkakor, zu backen? Wir können wohl davon ausgehen, dass sie die fantasievollen Namen der Backwerke beibehalten hat, sonst wissen wir ja gar nicht mehr, was wir da backen. Ein Klassiker sind die finnischen Stöckchen, finska pinnar. Kein Finne kennt sie, aber auf schwedischen kafferep werden sie gern gereicht. Mein Kindheitsliebling waren die Träume, drömmar, am liebsten die mit Kokos, dann aber unter dem Namen kokosdrömmar bekannt. Heute mag ich lieber Hallongrottor: Himbeermarmelade in einer Wolke aus Butter, Zucker, Vanille, Mehl und Backpulver. Wir können die Tafel noch mit jitterbuggare, torplyckor und chokladcigarrer ausstatten, dann haben wir schon die sieben Sorten zusammen. Ich bin mir nicht sicher, ob die ethnischen Minderheiten noch in der Ausgabe von Mia Öhrn dabei sind: brysselkex und ryska kyssar könnten es geschafft haben, aber ich zweifle an judebröd und bin mir absolut sicher, dass negerbollar weg sind.
Meine farmor hat sehr gute Plätzchen gebacken, und sie hat sogar ihren deutschen Urenkeln ab und an eine Dose mit Selbstgebackenem per Post geschickt. Aber ihre Enkelin, also ich, habe keine Leidenschaft für’s Plätzchenbacken entwickeln können. Ich kann Brot backen, ich kann anderen Leuten beibringen, wie man saftige Kanelbullar backt, und ich kriege auch einen urdeutschen Käsekuchen hin. Vielleicht bin ich eher jemand für das Grobe, fein gezwirbelte Mürbeteichstränge in geschmolzene Schokolade dippen, dazu fehlt mir einfach die Geduld.
Was für ein Glück, dass ich in Hamburg lebe! Hier erwartet niemand sju sorters kakor, vetebröd, en mjuk kaka och en gräddtårta, wenn ich mal zum Kaffee einlade.
/carina
Kleine Vokalbelliste
småkakor Plätzchen
sju sorter kakor sieben Sorten selbst gebackener Kekse
vetebröd Hefeteilchen, z. B. Zimtschnecken
mjuk kaka weicher Rührkuchen
gräddtårta Sahnetorte
farmor Oma väterlicher Seite, Vatersmutter
jitterbuggare jemand der den Tanz Jitterbug beherrscht, oder ein Baisermürbegebäck
torplyckor Häuschenglück
chokladcigarrer Schokoladenzigarren
brysselkex Kekse aus Brüssel, aber wie bei den finnischen Stöckchen kann man man nicht davon ausgehen, dass sie in Belgien bekannt sind
ryska kyssar russische Küsse, Mandelbaiser, sehen mit etwas Fantasie wie Schnee aus. Und Schnee gibt es ja in Russland.
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